Vielleicht ist es einfach das Ende der Bechsteinschen Däumlingsgeschichte (ursprünglich von Charles Perrault) "seine Abenteuer, die er mit Hilfe seiner Stiefel bestand" und die "nicht zu beschreiben" sind, die den über 80jährigen französischen Philosophen Michel Serres zu seiner Einschätzung bewegt haben mögen, noch einmal 18 sein zu wollen.
Das Abenteuer, das er erleben will, ist allerdings ganz anderer Art: die elektronischen Verheißungen unserer Zeit und ihre sinnvolle Nutzung. Der Däumling ist hier auch nicht mehr der kleine, schlaue Junge, der seine Brüder vor Hunger, Verzweiflung und Gefressenwerden rettet. Nein, der neue Däumling ist der, dem es gelingt mit Hilfe seines Daumens, die Welt digital zu erkunden. Auf dem Smartphone nämlich!
Serres sieht im Digital Native gar einen "neuen Menschen". Der kann sich sein Wissen beschaffen, immer und überall. Und der Schluss, den er daraus zieht ist für Lehrer besonders interessant: " Die gesamte Pädagogik werde sich daher vollkommen wandeln müssen, sei sie doch bislang darauf ausgerichtet, Wissen zu vermitteln. Alles Wissen aber sei heute 'immer und überall bereits vermittelt', nicht konzentriert, aber diffundiert in der vernetzten und verlinkten Gesellschaft. Kein Guru, keine Methode, kein Lehrer, nur Wikipedia, Facebook und Twitter", soweit Niklas Hofmanns Paraphrase des Vortrags, den Serres vor einigen Wochen vor der Académie française gehalten hat, in der Süddeutschen Zeitung.
Ist Frank Schirrmacher ("Kurzum: Ich werde aufgefressen.") dann derjenige, der uns vor dem Menschenfresser aus dem Märchen warnt, der dem Däumling ans Leben will? Verleiten die digitalen Siebenmeilenstiefel uns zu fehlender Konzentration? Gegen diese Behauptung verwahrt sich David Bauer im Spiegel vehement: "Das Web macht uns nicht dümmer" - als wir sind, möchte man hinzufügen. Im Gegenteil: "Autonom, einfallsreich, erfinderisch werde die neue Generation sein", so vermutet der Journalist Paul-Henri Moinet im Magazin Le nouvel Économiste in seiner Darstellung der Ideen Serras.